Wir bieten ein soziales Umfeld, das unsere Klienten im oft einsamen Alltag nicht kennen.
Gerhard Marty
Reismühle Brunnen, Geschäftsführer
Gerhard Marty
Reismühle Brunnen, Geschäftsführer
Seit wann beschäftigen Sie in der Reismühle Brunnen Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen?
Seit 2011 ermöglichen wir Menschen mit einer psychischen oder körperlichen Beeinträchtigung eine Wiedereingliederung in die Arbeitswelt.
Was waren die Beweggründe für die Einstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen?
2011 war ich Projektleiter in der Reismühle Brunnen. Der damalige Geschäftsführer der IV-Stelle Schwyz, Andreas Dummermuth, kam mit der Idee auf uns zu. Karl Haf, damals noch Geschäftsführer, sagte spontan zu und wollte soziale Verantwortung übernehmen.
Ich persönlich fand die Idee ebenfalls sehr gut. Ich machte mir Gedanken darüber, wie es wäre, wenn mir etwas passieren würde – körperlich oder psychisch – und ich nach zwei oder zwanzig Jahren wieder in die Arbeitswelt zurückkehren möchte, der Arbeitgeber aber sagt: «Wir haben keinen Platz mehr für Sie». Das wäre ganz schlimm für mich. Die Reismühle will deshalb «Hand bieten» für Personen, die wieder zurück in die Arbeitswelt möchten.
Wo sehen Sie den Nutzen für die Reismühle Brunnen bei diesem Engagement?
Unser Ziel ist es, die Menschen in die Arbeitswelt zurückzuführen. Die Reismühle Brunnen ist kein geschützter Betrieb, wir stellen die reale Arbeitswelt dar.
In unserem Engagement sehe ich vordergründig drei positive Aspekte: Erstens bekommt die eigene Arbeit einen anderen Stellenwert. Zweitens erhalten wir dank den Personen, die eingegliedert werden, neue Blickwinkel. So hatten wir bereits Köche, Bauführer oder Flugzeugmechaniker, die ganz neue Sichtweisen, Ideen, Möglichkeiten in den Betrieb brachten. Drittens: Je länger die Eingliederung dauert, desto mehr werden die Mitarbeitenden, die eine Person bei der Eingliederung begleiten, in ihrer eigenen Arbeit unterstützt und entlastet.
Mit welchen Beeinträchtigungen findet man in der Reismühle Brunnen eine Anstellung und in welchen Bereichen?
Aktuell haben wir fünf Eingliederungsplätze. Die Beeinträchtigungen sind unterschiedlicher Natur. Vor sieben Jahren waren es mehr Menschen mit einer körperlichen Einschränkung, die zu uns kamen. Heute sind es vermehrt Menschen mit psychischen Problemen.
Je nach Einschränkung gibt es entsprechende Arbeitsplätze: Ist die Person gut zu Fuss, kann sie in der Logistik arbeiten, dort geht es lebhaft zu und her. Hat die Person Mühe mit Stehen, ist die Abpackerei der ideale Ort. Dort werden im Sitzen Etiketten auf Päckli geklebt.
Wie sieht eine Eingliederung konkret aus?
Die Eingliederung ist ein mehrstufiger Prozess. Die IV-Stelle macht Vorschläge für unseren Betrieb. Anschliessend übernimmt Priska Märchy innerhalb unseres Betriebes die Organisation und Betreuung der Personen, die eingegliedert werden. Die Eingliederung dauert zwischen drei und sechs Monaten, ist sehr individuell und findet je nach Einschränkung in verschiedenen Arbeitsbereichen unseres Betriebes statt. Auch die gesteckten Ziele der einzelnen Klienten unterscheiden sich. Die körperliche oder psychische Einschränkung gibt den Arbeitsrhythmus und die möglichen Aufgaben vor.
Wer übernimmt die Begleitung von Menschen mit physischen oder psychischen Problemen im Arbeitsalltag?
Bei uns hat jeder Klient einen Götti, also eine Ansprechperson, die für ihn zuständig ist. Teilweise ist auch eine medizinische und psychologische Unterstützung während der Eingliederung notwendig.
Die Reismühle bietet den Eingliederungsplatz, Kleider, Ausrüstung etc. Die IV-Stelle übernimmt das Aufsetzen von Verträgen und Versicherungen. Ob nach der Eingliederungszeit eine feste Anstellung in unserem Betrieb möglich ist, hängt von der aktuellen Lage und Kapazität ab.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit den eingegliederten Personen?
Hatte jemand 20 Jahre lang keine Arbeit, ist eine Eingliederung nicht immer einfach. Viele grundlegende Dinge müssen neu erlernt werden: Pünktlichkeit, Arbeitsrhythmus, Teamarbeit. Es kommt vor, dass das Arbeitspensum bei 50% liegt, die Arbeitsleistung jedoch bei 20%. Die Eingliederung benötigt Geduld, Fingerspitzengefühl, Toleranz und viele Gespräche.
Am Ende einer Eingliederungszeit sind viele Klienten traurig, da sie ihre Arbeit und ihr Team wieder verlieren. Das Team ist zur Familie geworden, die ihnen einen wichtigen sozialen Austausch bietet.
Auch den Aspekt, dass die Person wieder zu Hause statt bei der Arbeit ist, darf man nicht unterschätzen. So traf ich letztens einen ehemaligen Mitarbeiter, der vor eineinhalb Jahren in unserem Betrieb erfolgreich eingegliedert wurde und anschliessend eine neue Stelle fand. Seine Frau sagte zu mir: «Zum Glück schaffet er wieder!» Denn auch zu Hause ändert sich viel, wenn eine Person eingegliedert wird. Die Frau – oder der Mann – hat den Haushalt wieder für sich.
Die Eingliederung benötigt Geduld, Fingerspitzengefühl, Toleranz und viele Gespräche.
Gab es vordergründig Bedenken von Ihren Mitarbeitenden und Ihnen?
Ja, zum Beispiel: Wie können wir Personen in ein familiäres Team integrieren? Finden wir Leute, die ins Team passen? Die Zusammenarbeit im Team ist eine Herausforderung. In den meisten Fällen klappt die Integration jedoch problemlos. Auch unsere Mitarbeitenden waren anfangs nicht euphorisch und hatten Angst vor dem Mehraufwand. Diese Befürchtungen waren schnell verflogen.
Wie beeinflusst eine Eingliederung das eigene Verhalten, die eigene Denkweise?
Dies verändert sich stark. In der Zusammenarbeit mit einer Person, die eingegliedert wird, erfahren unsere Mitarbeitenden, was es heisst, überhaupt einen Arbeitsplatz, ein gut funktionierendes Team zu haben. Vieles, das selbstverständlich erschien, wird mehr geschätzt.
Im Gegenzug wird das Selbstwertgefühl unserer Klienten gesteigert. Wir bieten ein soziales Umfeld, das sie im oft einsamen Alltag nicht kennen. Sie erfahren Wertschätzung und Anerkennung.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Behörden und Unternehmen aus?
Der Austausch mit der IV-Stelle Schwyz verläuft sehr erfolgreich. Die IV-Stelle ist sehr wichtig für uns, sie liefert die nötigen Instrumente, wie Verträge und Versicherungen. Das Netzwerk Arbeit bietet die Plattform für den Austausch zwischen Unternehmen, die Personen in das Arbeitsleben eingliedern. Mit anderen Firmen über die Prozesse einer Eingliederung zu philosophieren, erachte ich als sehr wertvoll. Ich habe auch schon Vorträge bei anderen Unternehmungen gehalten und von unseren eigenen Erfahrungen erzählt.
Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung des Eingliederungspreises «Chapeau»?
Diese Auszeichnung ist für die Reismühle Brunnen eine riesige Ehre und eine Anerkennung für unser ganzes Team! Schön, dass wir von aussen «gesehen» werden.
Ich bin sicher: Wenn unsere Gesellschaft in Bezug auf die berufliche Wiedereingliederung aktiver wird und sich mehr Betriebe engagieren, dann wird es in Zukunft einfacher, in der Schweiz trotz einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung im Arbeitsleben wieder Fuss zu fassen.
Die Reismühle Brunnen wurde 1956 gegründet und ist seit 2004 eine Division der Coop. Der europäische Marktführer in Sachen Reisproduktion und -vermarktung steht für fairen, ökologischen und nachhaltigen Anbau. Am Standort Brunnen SZ produzieren 22 Mitarbeitende 12’000 Tonnen Reis pro Jahr, dies für Kunden aus dem Detailhandel und dem Grosshandel sowie der Gastronomie und Industrie. Die Verarbeitung geschieht mit moderner Technik, die eine schonende Behandlung des Reis ermöglicht und höchste Produktequalität garantiert.